Dr. Andreas Grieser


Dr. Andreas Grieser
an seinem 75. Geburtstag
31. März 1943

Am Kegelplatz erinnert seit September 1993 ein Gedenkstein mit Bronzetafel an den bedeutendsten Sohn unseres Ortes, Dr. Andreas Grieser. Sein Elternhaus stand bis zum Zweiten Weltkrieg in der Nähe der heutigen Gedenkstätte.

Andreas Grieser wurde am 31. März 1868 in Bliesdalheim als zweites von 11 Kindern der Eheleute
Johannes Grieser (1840 – 1917) und
seiner Frau Magdalena geb. Mischo (1844 – 1887) geboren. 

Wer war Dr. Andreas Grieser?
Grieser galt als ‚Nestor der deutschen Sozialpolitik‘, wirkte als erster Oberbürgermeister der Stadt Würzburg sowie als Staatssekretär im bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziale Fürsorge in München.

 

 

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen ernannte Andreas Grieser ,,in Ehrung seiner hervorragenden Verdienste um den Wiederaufbau der Sozialversicherung nach dem Ersten Weltkrieg und ihre Geltendmachung in der Welt“ am 31. März 1928 zum Doktor der Staatswissenschaften.

Die Bundesrepublik Deutschland dankte dem verdienten Sozialpolitiker mit dem Großen Bundesverdienstkreuz, das ihm im Auftrag des Bundespräsidenten am 15. Januar 1952 Bayerns Ministerpräsident Dr. Ehard über­reichte.

Nach einem schaffensreichen Leben verstarb Andreas Grieser nach kurzer Krankheit im 88. Lebensjahr am 18.10.1955 in einem Münchener Krankenhaus. Vier Tage später wurde er mit einem Staatsbegräbnis an der Seite seiner Gattin auf dem Friedhof in Gar­misch zur letzten Ruhe gebettet. Eine große Trauergemeinde gab ihm das letzte Geleit. Über ein Dutzend Redner würdigten Leben und Wirken von Andreas Grieser.

Andreas Grieser zog sich nach der Rückgliederung des Saarlandes 1935 – er war damals schon 67 Jahre alt – zunächst nach Berlin zurück, verweilte aber immer wieder monatelang in seinem Geburtsort wo er seinen Bliesdalheimern mit Rat und Tat zur Seite stand. Er half in der Landwirtschaft mit, angelte an der Blies Fische und hatte stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Menschen. Da sein Elternhaus verkauft war, wohnte er regelmäßig im Gasthaus Seegmüller. Ab 1940 war der unermüdlich auf sozialem Gebiet Tätige gegen eine kleine Aufwandentschädigung in Bliesdalheim und den umliegenden Orten bei der Aufnahme von Kriegsschäden tätig. Am 7. Januar 1942 wurde er dann, inzwischen 73 Jahre alt, als Mitarbeiter der Feststellungsbehörde für Kriegsschäden beim Landratsamt St. Ingbert fest angestellt. Nach dem Einmarsch der Amerikaner im März 1945 ernannten diese den erfahrenen Mann Andreas Grieser zum Landrat des Kreises St. Ingbert.

 

Nachruf
erschienen in der Zeitschrift „Die Ortskrankenkasse“ vom 15. November 1955

Zum Gedenken an Staatssekretär  Dr. Andreas Grieser

„Am 22. Oktober 1955 trugen wir Dr. Grieser zu Grabe. Er starb in der Herbstzeit des Jahres, da die Früchte der Felder und Wiesen, der Bäume und Gärten in die Scheunen gebracht sind. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Friedhof von Garmisch zu Füßen des Kramerberges. Seine Ruhestätte war bedeckt mit der Blumenpracht des Herbstes; die Bäume des Friedhofes leuchteten in der überreichen Fülle herbstlichen Wunders.

Als der Sarg in die Grube gesenkt wurde, er­klang die Weise vom guten Kameraden. Die offiziellen Vertreter sprachen am Grabe von dem großen Mann und seinen großen Taten; die Bayerische Staatsregierung (Staatssekretär Weishäupl), die Bundesregierung (Staatssekretär Dr. Sauerborn), der Bayerische Landtag, Vertreter von Verbänden der Versicherungsträger, der Kriegsopfer usw., alle legten herrliche Kränze und Blumengebinde nieder. Aber die ihn wirklich zur letzten Ruhe betteten, waren die Scharen jener, deren Wohl sein Leben und seine Sorgen, sein Arbeiten und Denken gewidmet war: die Armen, die Alten, die Blinden, die Kriegsopfer, die Opfer der Arbeit, die Notleidenden und die im Schatten des Lebens stehenden.

Dr. Grieser war 88 Jahre alt geworden - ein biblisches Alter; mehr noch: ein gesegnetes und erfülltes Leben. Sein Körper trotzte den Jahren des Alters. Sein Geist blieb ungebrochen bis zuletzt; seine Kraft arbeitete, bis ihm nach kurzem Krankenlager der Tod das Werkzeug aus der Hand nahm. Er glich einer Wettertanne in den Bergen. Die Wetter­tannen stehen draußen, weit draußen vor dem dichten Bergwald, da, wo die Grenze zieht zwischen der Region des Wachstums und des Lebens und den kahlen Regionen von Fels und Eis. Sie schützen den Wald vor Sturm und Gefahr, sind Wächter des Lebens vor den feindlichen Mächten der Vernichtung und des Todes, die den Bergwald bedrohen. Sie sind zerrissen und zerzaust von den Stürmen - aber sie stehen und halten Wacht.

Griesers Leben? – 1868 als Sohn kleiner Bauern geboren, erlebte er Bismarck, das Kaiserreich, erlebte er wissend die Grundgesetze der Sozialpolitik und der Sozialversicherung, erlebte er die Weimarer Republik, das Dritte Reich: erlebte er den Totentanz zweier Weltkriege, zweier Zusammenbrüche; erlebte er zwei Währungskatastrophen, erlebte er die Flüchtlingskatastrophen und das Chaos und die Demütigungen einer Zeit, die Ordnung und Bindungen aufzulösen schien.

Aber Grieser sah auch glückliche Zeiten. Glückliche Zeiten freilich waren für ihn nur jene Zeiten, da er arbeiten und walten und sorgen konnte; denn Ruhe und sich selbst schonen waren für ihn fremde Begriffe.

Wer die Geschichte seines Arbeitens schreiben wollte, müßte beinahe die Geschichte der deutschen Sozialpolitik, zumal der deutschen Sozialversicherung schreiben. Vor allem in der zweiten Hälfte seines  Lebens stellte ihn Berufung und Schicksal auf Kommandobrücken. Nach seiner Tätigkeit als Rechtsrat in München und als Oberbür­germeister in Würzburg trat er 1920 als Ministerialdirektor in das Reichsarbeitsministerium ein, um - später auch als Staatssekretär - gestaltend und formend der deutschen So­zialversicherung Gesicht und Inhalt zu geben. Kassenarztrecht, Familienhilfe, Knappschaftsrecht, Neufassung der Reichsversicherungsordnung usw., die übrigen Sozialversicherungsgesetze und Verordnungen der Weimarer Republik, werden immer mit seinem Namen verbunden bleiben. 1933 brüske Verabschiedung durch die neuen Machthaber; erzwungenes Arbeiten und Leben in der Stille seiner pfälzischen Hei­mat. Aber 1945/46, als alle Ordnungen aus den Fugen waren, war er wieder da und warf sich dem Chaos und der Auflösung entgegen. Als Staatssekretär im Bayrischen Arbeitsministerium suchte er, neue Grundla­gen sozialpolitischen Wirkens zu legen. Er gönnt sich selbst keine Ruhe und keine Schonung. Wenn es gelungen ist, in erstaun­lich kurzer Zeit wieder so etwas wie festen Boden zu schaffen, dann darf Griesers Name mit an erster Stelle genannt werden; Wiederaufbau der Kriegsopferversorgung in Bayern, die Sorge, daß die Versicherungs­träger wieder arbeiten und ihre Menschen betreuen konnten, das geglückte Auffangen der Flut der Heimkehrer und Gefangenen, das bayerische Blindengeldgesetz, der Ausbau der Sozialversicherungsrechtsprechung, das bayrische Betriebsrätegesetz, sein Arbeiten im Stuttgarter Länderrat, im Frank­furter Wirtschaftsrat und später im Bundesrat – vergebliches Beginnen, im Rahmen dieser kurzen Zeilen auch nur in etwa andeuten zu können, was Grieser gearbeitet und getan hat: Das muß dem sozialpolitischen Histo­riker vorbehalten bleiben.

Wer in seiner  Nähe oder gar mit ihm arbei­ten durfte, mußte den großen Menschen Grieser achten. Fachkenner und Fachkönner mag es mehr geben. Grieser war mehr als ein großer Fachmann. Er war ausgeprägte Persönlichkeit; Treue war seine hervorstechende Eigenschaft. Er lehnte Opportunisten und Menschen ab, die den Mantel nach dem Winde hängen. Er war ein Mensch der Wahrheitsliebe, der Meister des Wortes und der Feder gebrauchte nie Superlative. Er war aber vor allem ein Mensch, in dessen Brust ein Herz schlug, das nur Gerechtigkeit, noch mehr aber Liebe zu seinen Nächsten kannte.

Dr. Grieser ist nicht mehr. – Lebt er wirklich nicht mehr? Es wäre traurig um all jene be­stellt, die mit ihm arbeiten durften oder die spürten, was Grieser in seinem ganzen Leben für das deutsche Volk gearbeitet hat. Jetzt, da wir daran gehen, unser gesellschaftliches Leben neu zu ordnen und zu gestalten, jetzt, da die Sozialreform unserem gesellschaftli­chen Sein ein neues Gesicht geben soll, wird Griesers Vermächtnis weiter wirken müssen. Wenn der Geist der Gerechtigkeit, der Näch­stenliebe und der Wahrheit und Treue in gleicher Stärke lebendig bleibt, wie er Grie­sers Arbeiten getragen hat, wird nicht nur der große Tote geehrt werden, sondern die deut­sche Sozial- und Gesellschaftspolitik wird jene Wege gehen, die auch heute richtungsweisend sein werden."

Literatur über Dr. Andreas Grieser:

  • Bettina Köttnitz-Porsch, Novemberrevolution und Räteherrschaft 1918/19 in Würzburg, Dissertation Bamberg 1983. Veröffentlichung: Mainfränkische Studien, Band 35, Würzburg Herbst 1985 (Hart Druck, Volkach 1985)

  • Christian Fries, Andreas Grieser. Oberbürgermeister in der Zeit des Umbruches 1918-1920. in: Ulrich Wagner (Hrsg.), Würzburger Bürgermeister 1862-1920. Würzburg 1990., S. 215-262.

  • Volker H. Schmied, Andreas Grieser (1868-1955), Das Leben und Wirken des „Nestors“ der deutschen Sozialversicherung, Karlstadt 1993

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